Marionettentheater am Bauhaus Weimar

Im Bauhaus-Buch Nr. 4 finden sich Bilder der Figuren.
Hier sind „Buckliger“, „Henker“ und „Ölhändler“ abgebildet.

Im Jahr 1923 experimentierten die Studierenden der Bühnenwerkstatt am Bauhaus Weimar unter der Leitung von Oskar Schlemmer mit Marionetten. Geplant wurde die Aufführung des Märchens „Die Abenteuer des kleinen Buckligen“ aus der Sammlung „Märchen aus 1001 Nacht“. Die Puppen werden gestaltet, doch zu einer Aufführung kam es nicht.

Im Jahr 2015 wurden von Peter Lutz Nachbauten der erhaltenen Original-Marionetten angefertigt und spielbar gemacht.

Die zehn Theater-Puppen, bewegliche Zeugen eines bewegten Bauhaus‘, sind im Bestand der Klassik Stiftung Weimar.

Regisseur und Puppenspieler Christian Fuchs hat 95 Jahre nach ihrer Entstehung eine Aufführung mit den Marionetten erarbeitet.

Der Bucklige

Im Ensemble der 1923er Puppen nimmt sich die Puppe der Haupt- und Titelfigur schon geradezu konventionell aus. Ein kleiner komischer Kerl, ganz ohne Buckel ist er, dafür mit einer gelungenen Mechanik im Kopf: er kann den Kiefer und die Augen bewegen. Die Augen haben auch einen „Schlaf-Mechanismus“, wie man ihn von Spielzeug-Puppen kennt: wenn die Puppe auf dem Rücken liegt, sind die Augen so tief, dass sie geschlossen scheinen.IMG_2711Für die Inszenierung in Dessau hat der Bucklige drei Fäden bekommen, mit denen man jedes der beiden Augen einzeln und den Kiefer bewegen kann. Natürlich können auch alle drei Elemente gleichzeitig bewegt werden.IMG_2715

Die Puppe des Buckligen erinnert ein wenig an „Felix the Cat“ oder an die frühe „Mickey Mouse“. Beide erblickten ebenfalls in den 20er Jahren das Licht der Öffentlichkeit. Aus Gründen des Urheberrechtes kann ich aber von den beiden obengenannten Comic-Figuren keine Bilder zeigen.IMG_2717

Der Arzt

Die Puppe des Arztes hat die meisten Gelenke und ist damit die am schwierigsten zu führende Marionette. Zudem verfangen sich die Fäden schnell in den freien Spitzen der Hände, also in den „Spritzen“. Ungeachtet dessen ist der Arzt, mit seinen farbigen Tafeln, die sicher „bauhaus-igste“ Puppe von allen. IMG_2689

Der Arzt ist ausschließlich für die Vorderansicht gestaltet, von der Seite betrachtet wirkt er schmal und farblos. Auch die Rückseite hat wenig Schauwert: sie wurde schon 1923 einfach schwarz angemalt.

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Die Puppe erinnert mich immer an den berühmten Stuhl von Gerrit Rietveld. Dieser wurde zwar schon 1918 entworfen, erhielt aber erst 1923 seine charakteristische Farbgebung, also zur gleichen Zeit, als der Arzt von Kurt Schmidt entworfen und von Toni Hergt realisiert wurde.

Rietveld_chair_1bEin Haus für den Arzt gibt es auch: das berühmte Rietveld-Schröder-Haus.640px-RietveldSchroederhuis

Aber auch wenn der Stuhl als „Bauhaus-Stuhl“ vermarktet wird – Gerrit Rietveld war nie am Bauhaus, sondern gehörte zur niederländischen Gruppe De Stijl.

Der Diener des Arztes

Kubisch durch und durch, mit farbigen Akzenten: die Puppe des Arzt-Dieners könnte aus der Industrie-Design-Epoche des Bauhauses stammen. Gleichfalls zurückgenommen ist seine ganze Körperhaltung, Kurt Schmidt war die Unterwürfigkeit im Ausdruck wichtig. Deshalb sind schon die Fußsohlen so angesetzt, dass die ganze Puppe in eine Verbeugung gedrängt wird.IMG_2675Als Marionette ist diese Puppe überschaubar und klar in ihren Bewegungen. Sie kann zudem hervorragend auf ihrem Hinterteil sitzen und sich auch aus dem Stand bis ganz auf den Boden verbeugen. Mit den kellenartigen Händen kann sie auch ausdruckstark Abwehr oder Beschwichtigung evozieren.IMG_2672

Der Ölhändler

Die Puppe des Ölhändlers ist die „dienstälteste“ der Puppen, wurde sie doch als „Schmied von Apolda“ gestaltet und nachdem diese thüringische Volkssage verworfen worden war in das Ensemble der „Abenteuer des kleinen Buckligen“ übernommen: als Ölhändler, der den Buckligen nachts zwischen seinen Vorräten findet.IMG_2698So massiv wie der Ölhändler mit seinen Kantholz-Armen und Säulen-Beinen auftritt, das Röckchen mit den bunten Ringeln gibt ihm etwas verspieltes. War das der Grund, dass auf dem Bild im Buch sein Rock grau dargestellt wurde? Die Puppe in der Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hat zudem einen gekürzten Rock. Für die Inszenierung in Dessau haben wir den Rock wieder in seiner Originallänge angefertigt.IMG_2695Hier ein Bild von dem Dresdner Original mit dem gekürzten Saum (man sieht sogar den schwarzen Unterblock…!)
IMG_1424 v.R.

Der Schneider

Es ist die am schwierigsten zu spielendste Puppe: die Marionette des Schneiders hat einen ausladenden Bart aus Kupferdraht, und was nach Absicht der Schöpfer sein Arbeitsmaterial, die Fäden darstellen soll, verhakt sich fortgesetzt in den Führungsfäden.IMG_2665Die Ambitionen von Kurt Schmidt und Toni Hergt manifestierten sich 1923 auch die Beine des Schneiders, die einen Schneidersitz machen können sollten. Dafür statteten sie ihn mit völlig irren Gelenken aus: Klappgelenke in der Hüfte und seitlich schwingende in den Knien. Als Fadenmarionette ist das Schreiten damit fast unmöglich. Dafür kann er herrlich un-anatomisch Arme und Beine bewegen – das hat seinen ganz eigenen Schauwert!IMG_2669Der Schneider hat noch eine weiter interessante Geschichte. Er ist als einziger nicht als Original im Bestand der Dresdner Puppentheatersammlung. Kurt Schmidt, so erzählten es mir die Kuratoren Rebehn (Dresden) und Weber (Berlin), schenkte die Puppe des Schneiders einer Dame. Diese Dame vermachte den Schneider ihrem Verwandten. Der Verwandte gab die Puppe beim Bauhaus-Museum in Berlin ab und verschwand unauffindbar. Weil sich seine Besitzverhältnisse nicht klären lassen, liegt der Schneider jetzt in Berlin in seiner Schachtel. Und wir durften ihn in Berlin auch nicht ansehen oder vermessen. Glücklicherweise hatten die Dresdner einige Daten, die sie uns zur Verfügung stellten. Und so konnten wir den Schneider für die Dessauer Uraufführung wieder in sein Ur-Ensemble einfügen.

Die Frau des Schneiders

Sie ist die einzige weibliche Person im Ensemble der „Buckligen“-Puppen, ihre Rolle jedoch ist die eines Zankteufels. Entsprechend aggressiv ist auch ihr Ausdruck: gebleckte Zähne, abstehende Haare, geballte Fäuste und Nägel in den Augen [!]. Zudem nimmt sie wesentlich mehr Raum ein, als ihr Mann, der eher schmächtige Schneider.IMG_2683Der Rock der Schneidersfrau ist aus Zeitungspapier kaschiert worden und war rot und gelb mit einer grünen Schürze. Er wurde dann schwarz übermalt und wieder abgeschliffen. Für Marionetten ist der Rock immer ein dankbares Kleiderstück, denn die Aktion der Beine muss nicht gezeigt werden. Wenn eine Marionette mit Rock über den Boden schwebt, kann sich jeder die Bewegung der Beine imaginieren. IMG_2688

Der Henker

Die Puppe des Henkers ist in dem Buch „Die Bühne im Bauhaus“ fotografisch dokumentiert. Er ist die am einfachsten gebaute Puppe, und erinnert an ein Skelett. Die Spiralfeder als Rumpf dürfte Schlemmer gefallen haben, der immer Grundformen in der Anatomie des Menschen suchte. Wie der Henker den oben genannten Galgen bedient haben soll bleibt ungelöst.IMG_2703

Wie auch die Puppen des Ölhändlers und des Arzt-Dieners hat der Henker eine kreisförmige und eine würfelförmige Hand.IMG_2701

Der Ausrufer

Gleich den beiden Signalfigurinen findet sich der Ausrufer nicht in dem Bericht, den Kurt Schmidt 1972 über die Arbeit an den  „Abenteuern des kleinen Buckligen“ angefertigt hat. Seine große Ähnlichkeit mit dem Henker weißt ihn aber eindeutig in den Zusammenhang mit den 1923 am Bauhaus Weimar angefertigten Puppen.

IMG_2680Der Ausrufer ist mit seiner markanten Flüstertüte eine effektvolle Marionette. Von der einen Seite erscheint er weiß, dreht man ihn um 180 Grad scheint er rot. Ein Trick, der an die Scheibentänzer aus Schlemmers „Triadischem Ballett“ erinnert, die durch eine solche Wende im Halbkreis ihre Farben zu tauschen schienen.

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Kleine und große Signalfigurine

Die beiden Signalfigurinen gehören sicher nicht zum Ensemble der „Abenteuer des kleinen Buckligen“. Sie stammen aber aus dem Konvolut der Dresdner Puppentheatersammlung.

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Die Anlehnung an Eisenbahn-Signale ist nicht zu übersehen. Wie bei diesen könnnen Elemente weggeklappt und nach hinten umgefaltet werden. Die kleine Signalfigurine hat die ungewöhnliche Farbe rosa auf ihrer Vorderseite. Die große Signalfigurine ist auf einem einfachen Stück Möbelholz montiert, dessen Zapfen man unschwer erkennen kann.

IMG_2721Wahrscheinlich waren diese beiden Figuren für ein anderes Projekt gedacht oder waren eine Vorstudie für Kurt Schmidts „Mechanisches Ballet“. Es gibt darüber keine Angaben.

Hier noch Bilder des wahrscheinlich Vorbild darstellenden sog. „Vorsignals“:

319px-07_416_Bf_Wolks,_Sig_Va_(Fahrtstellung)